Das Rätsel annehmen
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Gesundheit und Krankheit – Die Suche nach einem Sinn in all dem Chaos
Rosemarie Henzler (Zens), Süddeutsche Zeitung, München 23./24. Juni 1990
Die daseinsanalytische Psychotherapie wurde Anfang der 70er Jahre von dem Züricher Psychiater Medard Boss ( 1903 – 1990 ) begründet in Anlehnung an die Phänomenologie Martin Heideggers. Als Auslegekunst von Lebensgeschichten geht es ihrer existentiellen Sichtweise um ein daseinsgerechtes Bedenken menschlichen Krank- und Gesundseins. Diesseits der Begriffe von gesund und krank zielt sie, philosophische und medizinische Anthropologie sowie phänomenologische Betrachtungsweisen verbindend, nicht auf Krankheitssymptome, sondern auf Daseinsstrukturen und -verläufe. Und nicht auf die Frage: Was ist krank?, sondern: In welcher Weise oder Wie macht was krank? und: Wie frei und offen sind die Verhaltensweisen und die authentischen Gefühle des einzelnen Menschen dazu?
Es geht also um die ontologischen Grundstrukturen des Daseins, d.h. um jene Möglichkeiten, die jedem Menschen, ob gesund oder krank, zur Verfügung stehen. Grundlegend wird die ursprünglichste Situation des Menschen gesehen als Bedürftigkeit und Angewiesensein auf Sinn. Denn der Mensch als ein auf Verstehen angelegtes Wesen kann gar nicht umhin, die geschichtlichen Erfahrungen in Sinn zu verwandeln, „gleichsam hermeneutisch zu verkraften, um leben zu können“ (Gadamer).