Neue Sirene 17

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Pan ist nicht tot

Die alte Leier. Nimm seine Flöte
Charon, warte dort am Fluss
Und hör die Melodie?Spielt
leise

Sieh

Das Schilf
Bewahrt Geduld
In den Augen das Wachsein
Verwandelt das Dunkel in Schnee

Der Komet

Mit dem Fernrohr
Galileis vom Planeten
Auf die Erde zu schauen
Weg vom gleißenden Licht
Zum leicht aufgehellten Osten
 
Mit dem Kometen
Ikeya-Zhang zu Ostern
Davon zu gleiten auf dem
Nach oben gerichteten Schweif
 
Wer hätte glauben können
An die Rückkehr im ersten Monat
Sechzehnhunderteinundsechzig
Im Gegenblick
 
Nur noch ein blasser Lichtfleck
Nach über dreihundert Jahren
Haben sich weiter aufgelöst
Flüchtige Bestandteile
Im Passepartout der Sonne

Siliziumherz

Gnomartig die gallerte Großrindenform
Totales Kleingehaecksel
Chimärsämiger Chromosomenfaden
Angezappt und invasiv
 
Affenschaukel zu Aminodiploiden
Chromatisch aufgeblasen
Totgesagte Lebendtote Tauroide
Geschrumpftes Welthirn
Rätselt

 

Geschrumpftes Welthirn rätselt

Zu den Gedichten Pan ist nicht tot. Der Komet. Katze. Kupiert. Siliziumherz.
Bettina Hohoff, Neue Sirene 17, München 2003
 
Durch sein plötzliches Erscheinen rief der Flötenspieler Pan in der griechischen Mythologie den nach ihm benannten panischen Schrecken hervor. Rosemarie Zens bleibt nicht bei der Etymologie psychologischer Konzepte stehen. Ihr geht es um die Geschichte der Wissenschaften und um moderne Wissenschaftskritik in der Lyrik. Gerade die moderne arbeitsteilige Wissenschaft in ihren hochspezialisierten Verzweigungen lässt sich literarisch bestenfalls andeutungsweise veranschaulichen. In dem Gedicht „Siliziumherz“ ergeben beispielsweise die Anfangsbuchstaben jeder Zeile ( bis auf die Schlusszeile) senkrecht von oben nach unten gelesen, was unserer Lesegewohnheit widerspricht, die Folge von Aminosäuren. Der von den Naturwissenschaften geführte Allgemeinanspruch auf Realerkenntnis steht in inhumanem Dissens zu deren humaner Vermittelbarkeit.

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in: Neue Sirene 17, München 2003

15. Juni 2003